22/02/2022

Im Interview:

Gerhard Marschitz

"Wir haben jeden Stein umgedreht"

Was hatten Sie für eine Aufgabe übernommen, die offensichtlich die Konzernführung überzeugte, Sie nach Deutschland zu berufen?
Bevor ich die Verantwortung für das Deutschlandgeschäft übernahm, war ich für Central & Eastern Europe, kleinere Länder wie Rumänien, Ungarn, Slowakei, Tschechien, Polen und Russland, verantwortlich. Meine Aufgabe war es, diese Länder „wach zu küssen“ – ich sollte Wachstum kreieren, was mir auch bestens gelang. Mit Rumänien und Polen hatten wir weltweit bei Compass die höchsten Wachstumsraten.

Das macht Mut. Wie sind Sie in Deutschland vorgegangen?
Ich habe mir die Informationen über unsere Kunden geholt und in den ersten beiden Wochen genau zugehört, dann war mir die neue Strategie ziemlich bald klar.

Und wie lautete die?
Qualität, Retention und Wachstum – auf diesen Säulen entwickeln wir unser Geschäft.

Klingt recht einfach. Was waren denn die wichtigsten Hinweise der Kunden?
Alle Kunden legen Wert auf Qualität, auf Regionalität und Frische, alles Themen, die wir – kritisch betrachtet – nicht konsequent umgesetzt haben.

Können Sie denn für das abgelaufene Geschäftsjahr erste Erfolge melden?
Absolut. Wir hatten ein tolles Jahr und können auf die höchste Retention-Rate mit über 96 Prozent in der Geschichte Deutschlands verweisen. Unsere Qualitätsoffensive hat mit dazu beigetragen, dass wir das höchste Neukundengeschäft auf 12-Monats-Basis ever hatten. Und das, obwohl gleichzeitig Ausschreibungen verschoben wurden und wir nicht etwa über den Preis gewachsen sind. Deshalb bin ich auch stolz auf ein Top-Team, das eine bemerkenswerte Erfolgsbilanz vorweisen kann. Außerdem haben wir unsere Strukturen verschlankt und effizienter gemacht, was für mehr Kundennähe sorgt.

Können Sie das an einem Beispiel konkretisieren?
Unsere Betriebsleiter sind die wichtigsten Personen. Wir haben diese Manager in der Vergangenheit vielfach überfordert - sie sollten Unternehmer sein, Gastgeber und Ansprechpartner zugleich. Wir haben es geschafft, dass wir mit moderner Technologie die Kolleginnen und Kollegen entlasten, indem wie ihre administrativen Aufgaben reduzieren. Dafür haben sie mehr Zeit für den Kunden vor Ort.

Compass fährt weltweit die Strategie verschiedener Brands. Das gilt offensichtlich auch für Deutschland.
Richtig. Im B+I-Markt verfügen wir mit Food Affairs, Eurest und Leonardi über drei starke Marken, die genau vom Marketing positioniert wurden. Sie ergänzen sich sehr gut. Beide Marken inspirieren Eurest und bringen diesen Brand weiter.

 "Im Business + Industry-Markt verfügen wir
über drei starke Marken."

„Unser Geschäft wird sich dramatisch wandeln in Richtung 24/7 und Ganztagsversorgung. Zusätzlich ergänzt durch Coffeeshops, Vending und Micromarkets."

Welche Unterschiede stellen Sie zu anderen Compass-Ländern fest?
Wobei mir die Unterscheidung in Blue Collar und White Collar besser gefällt. Blue Collar ist auf Kundenseite stark von der Automobilindustrie geprägt. Hier lagen wir bis Oktober bei 80 bis 90 Prozent des Umsatzniveaus. Im White-Collar-Markt haben wir eine höhere Capture Rate und einen höheren Durchschnittsbon. Allerdings rechnen wir in diesem Markt mit einem dauerhaften Umsatzverlust von 20 Prozent.

Wie wollen Sie diese Umsatzverluste durch Homeoffice auffangen?
Wahrscheinlich werden ein bis zwei Tage im Homeoffice bei vielen Kunden Alltag. Ich bin überzeugt, dass wir über neue Konzepte einiges kompensieren können. Zum Beispiel stellen wir fest, dass Gäste, die an den übrigen Tagen ins Restaurant kommen, mehr ausgeben.

Wie könnten die neuen Konzepte aussehen?
Wir müssen unser System Mittagsgeschäft infrage stellen. Bei den Lösungen werden wir in kürzester Zeit wieder der Innovationstreiber sein. Unser Geschäft wird sich dramatisch ändern in Richtung 24/7 und Ganztagsverpflegung. Zusätzlich ergänzt durch Coffeeshops, Vending und Micromarkets – alles findet in multifunktionalen Gastro- und Co-Working-Zonen statt. Micromarkets haben wir in den USA mit der Firma Canteen extrem erfolgreich weiterentwickelt. Das Know-how können wir nutzen. Die neuen Konzepte werden sich modular ergänzen. Generell spielen Digitalisierung und Nachhaltigkeit zukünftig eine entscheidende Rolle.

Sie betonen immer wieder das Thema Nachhaltigkeit. Wie weit ist diesbezüglich der Marktführer?
Als erstes internationales Unternehmen in der Catering-Branche haben wir uns dazu verpflichtet, bis 2050 in der gesamten Wertschöpfungskette CO2-neutral zu werden (Net Zero). Das heißt, wir wollen weltweit keine Emissionen mehr verursachen. Bis 2030 – so das Ziel – wollen wir in UK bereits CO2-neutral agieren. Übrigens stellen wir fest, dass der Kunde bereit ist, für Nachhaltigkeit mehr zu zahlen.

Zukunftsmodell

Die klassische Großküche wird durch zentralisierte Ghostkitchen ersetzt, die an Satelliten liefern. Hinzu kommen punktuelle und flexible Gastronomiepunkte wie Coffeeshops, temporäre Counter, Dark Kitchen, Retail- und Co-Working Spaces.

Wir haben noch nicht über andere Teilmärkte wie Care und Education gesprochen. In beiden Feldern ist Compass in Deutschland nicht sehr erfolgreich.
Ich war noch nie ein Freund von Education, weil wir grundsätzlich unterschiedliche Interessengruppen haben, die wir nicht zusammenbringen – Kinder und Schüler, Eltern und unsere Auftraggeber. Deren Anforderungen könnten unterschiedlicher nicht sein. Hier halten wir uns zurück. Der Bereich Senioren ist ein riesiger Wachstumsmarkt – hier wollen wir verstärkt diversifizieren und investieren. Auch im Bereich Health Care wollen wir uns weiterentwickeln, wir haben den Verkauf gestärkt und sind auch an externem Wachstum interessiert. Wie interessant Marken sein können, zeigen unsere 25 Kanne-Outlets, die sehr erfolgreich sind.

Wie bewerten Sie den Fachkräftemangel als Bremsfaktor für weiteres Wachstum?
Der Mangel geht auch an uns nicht spurlos vorbei. Wir ergreifen aber präventive Maßnahmen, um der attraktivste Arbeitgeber in unserer Branche zu werden. Dazu gehören unsere neue Unternehmenskultur und unser bewährtes Aus- und Weiterbildungsprogramm, das für alle Berufsbilder, Betriebsleiter, Küchenleiter, Köche oder Serviceleute ein umfangreiches Trainingsprogramm anbietet. Es gibt für den Nachwuchs ein Management-Trainee-Programm. Insgesamt tun wir extrem viel im Thema Aus- und Weiterbildung.

Dennoch muss sich die Branche teilweise neu erfinden. Hilft Ihnen da der eigene Bereich Facility mit Plural – Stichwort Cross-Selling – weiter?
Ich bin ein strikter Vertreter der Trennung zwischen Facility und Catering, das kann man nicht als Package verkaufen. Es ist ein absolutes Muss, die Geschäftsbereiche zu trennen.

Ist Delivery keine Option?
Wir haben ein Konzept, das wir gemeinsam testen. Es ist schwierig zu verkaufen – wir wollen ja, dass die Leute wieder zurück ins Restaurant kommen und sie nicht im Homeoffice zurücklassen. Klar gibt es auch bei uns Take-away-Konzepte, aber ich bin davon nicht überzeugt. Sie bringen keine nennenswerten Zusatzumsätze.


„Ich setze auf First-Time-Outsourcing. Ein Viertel des Marktes ist noch in Eigenregie. Hier wird sich in Corona- Zeiten etwas ändern."

Was steht jetzt für 2022 oben auf Ihrer Agenda?
Unsere Strategie habe ich ja schon definiert – daran halten wir fest. Wir wollen als Innovationstreiber wahrgenommen werden und haben schon in den letzten Monaten viele neue Verkaufsimpulse entwickelt. Innovationen, Digitalisierung und Nachhaltigkeit bleiben für 2022 hoch relevant. Dann setze ich auf First-Time- Outsourcing. Ein Viertel des Marktes ist noch in Eigenregie. Hier wird sich in Corona-Zeiten etwas ändern. Ich bin überzeugt, dass die Fokussierung auf Kernkompetenzen innerhalb der Unternehmen immer wichtiger wird. Wir rechnen mit einem Umdenkprozess, denn die besseren Argumente sprechen für uns.

 

Das Gespräch führte Burkart Schmid.

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